Lebensgeschichten jüdischer Überlebender im Film: 1. Zeitzeugin Marianne Berndsen im Gesprach 2. Video-Vortrag zur Vita des Wiesbadener Arztes Dr. Harpuder
Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V. (AMS)
Wenige Jüdinnen und Juden haben die Shoa überlebt – jede und jeder von ihnen auf ganz eigene Weise. Wie und wann sie der mörderischen Entfaltung des NS-Regimes entkommen sind, wie sie ihr Leben vor, im und nach dem Entkommen gestaltet haben, kann für nachkommende Generationen sehr erhellend und inspirierend sein.
Das AMS will dies mit zwei Video-Projekten nutzen:
Erstens:
Marianne Berndsen, am 9. August 1925 in Wiesbaden als Tochter des nicht-jüdischen Bankkaufmanns Siegfried Buchwald und seiner jüdischen Ehefrau Margarethe geboren, hat in einem Zeitzeugengespräch bei einer Veranstaltung in der AMS-Bibliothek am 29. August 2021 und bei anderen Gelegenheiten berichtet, in welchen Lebenswelten sie sich vor, während und nach der NS-Zeit bewegt hat und wie es ihr gelungen ist, dem eigenen Überleben durchgängig Horizonte eines gelungenen Selbstseins abzugewinnen – und dies trotz des furchtbaren Verlusts ihrer Mutter.
Mutter Margarethe wurde 8. Mai 1944 ebenso wie ihr Gatte Siegfried und ihr Sohn Robert verhaftet. Anlass der Verhaftung war die Denunziation Roberts wegen Waffenbesitzes. Die Mutter, Margarethe Buchwald wusste, welches Schicksal ihr als Jüdin drohte und entzog sich dieser mörderischen Verfolgung durch ihren Freitod.
Vater Siegfried und Bruder Robert wurden deportiert, überlebten die furchtbaren Zumutungen unterschiedlicher Arbeitslager – die Alliierten hatten den NS-Staat ein Ende bereitet und seine Mordmaschinerie gestoppt.
Die Chance, die Erinnerungen, Wahrnehmungen und persönlichen Einschätzungen einer 94-jährigen Zeitzeugin festzuhalten, muss aus Sicht des AMS genutzt und für die Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus nutzbar gemacht werden.
Insbesondere für Jugendliche und Heranwachsende kann es von beispielhaftem Wert sein, nachzuvollziehen, wie eine damals junge Frau in Zeiten höchster Not jenseits des Heldenmuts Möglichkeiten der Selbstbehauptung fand und nutzte.
Als Rohmaterial liegen bereits Videoaufzeichnungen von Interviews und Gesprächen vor. Diese wurden mit der Zeitzeugin geführt von Angela Wagner-Bona (AMS), Georg Habs (AMS); Natalie Sommer (Agentur al-plus) und Tom Greiner (Agentur 4. Wand).
Sichten, schneiden, mit Bildmaterial anreichern, einen spannenden Erzählstrang herstellen – dies sind kreative Herausforderungen, zu deren Bewältigung es einschlägiger Fertigkeiten und Fähigkeiten bedarf, deren Verfügbarkeit zum Teil durch den Rückgriff bewährte externe LeistungserbringerInnen (Agentur 4. Wand; Agentur al-plus) sicher gestellt werden soll.
Zweitens:
Der jüdische Arzt Dr. Karl Harpuder (geb. 11.05.1893 in München; gest. 05.04.1974 in New York-Bronx) hat sich der NS-Verfolgung rechtzeitig entzogen und so den Holocaust überlebt.
Er arbeitete ab 1925 als Direktor des Forschungsinstitutes für Hydrologie und Stoffwechsel in Wiesbaden.
1933 wurde Dr. Harpuder entlassen.
Er sah sich gezwungen, Deutschland zu verlassen und emigrierte bereits im Mai 1934 über Liverpool nach New York. Die DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) entzog ihm im gleichen Jahr die Mitgliedschaft.
In den USA wurde seine Approbation als Arzt umgehend anerkannt. Im Gegensatz zu vielen anderen jüdischen Emigranten konnte er seinem erlernten Beruf nachgehen. Ab 1935 war er am Montefiore Hospital and Medical Center in der Bronx tätig, wo er bis zum Direktor der Abteilung für physikalische Medizin und Rehabilitation aufstieg.
Herr Dr. Harpuder ist – wie viele andere jüdische Emigranten – nie in das Land seiner Geburt zurückgekehrt.
Sein Leben in Erinnerung zu rufen, wertet das Aktive Museum Wiesbaden für Deutsch-Jüdische Geschichte e.V. als einen wichtigen Beitrag zu einer Erinnerungskultur, die nicht außer Acht lässt, welche Vielfalt jüdisches Leben sich vor und nach der Shoa entfaltet hat.
Insbesondere das Überleben setzt Zeichen der Hoffnung und eröffnet der Zukunft neue Räume.
Die ehemalige Leiterin des Stadtarchivs Wiesbaden, Frau Dr. Brigitte Streich hat den gesamten Werdegang von Herrn Dr. Harpuder eingehend recherchiert und ist bereit, die Ergebnisse ihrer Arbeit in einem Video-Interview vorzustellen.
Natalie Sommer (Agentur al-plus) und Tom Greiner (Agentur 4. Wand) stehen bereit, sämtliche zugehörigen Aufgaben der Aufzeichnung, der Postproduktion und Internet-Präsentation professionell zu bewältigen. .